Ermittlungsverfahren im Strafrecht: Anwalt Hamburg und Berlin

Das Strafverfahren beginnt mit dem Ermittlungsverfahren.

Oftmals wissen Beschuldigte1 nicht, dass überhaupt ein Ermittlungsverfahren geführt wird. Die Staatsanwaltschaft ist nicht dazu verpflichtet, einen Beschuldigten über die Aufnahme von Ermittlungen zu informieren. Erst durch die Vorladung der Polizei im heimischen Briefkasten erfährt dieser von dem Strafverfahren. Mit dieser Einladung wird der Beschuldigte gebeten, zur Vernehmung bei der Polizei zu erscheinen, was er jedoch keinesfalls tun und der Einladung nicht nachkommen sollte.

Vorladung von der Polizei: Für gute Strafverteidigung besser zum Fachanwalt für Strafrecht

Vorladung erhalten?

Haben Sie eine Vorladung oder Anhörungsbogen von der Polizei erhalten? Zögern Sie nicht und nehmen Sie Kontakt mit uns auf! Wir sagen den Termin der Vorladung für Sie ab und kümmern uns um alles Weitere.

Einleitung eines Ermittlungsverfahrens

Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erfolgt aufgrund einer Strafanzeige oder durch zureichende tatsächliche Hinweise auf eine Straftat. Das Legalitätsprinzip verpflichtet die Staatsanwaltschaft bzw. die Polizei dazu, Ermittlungen aufzunehmen, sofern gemäß § 152 Abs. 2 StPO ein Anfangsverdacht vorliegt.

Ein Anfangsverdacht liegt allerdings schon dadurch vor, dass eine Straftat von vornherein nicht völlig ausgeschlossen erscheint, §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO.

Sonderfall: Antragsdelikte

Eine Ausnahme hierzu bilden Antragsdelikte, bei denen die Staatsanwaltschaft bzw. Polizei nur dann Ermittlungen aufnehmen darf, wenn ein Strafantrag des Verletzten vorliegt (sog. absolute Antragsdelikte) oder ein Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden durch ein besonderes öffentliches Interesse der Allgemeinheit geboten ist (relative Antragsdelikte).

Sobald Sie uns mandatieren beantragen wir Akteneinsicht, um zu erfahren, was Ihnen die Staatsanwaltschaft denn genau vorwirft und durch welche Beweismittel dieser Tatvorwurf untermauert werden soll. Nicht selten erteilt uns die Staatsanwaltschaft die Akteneinsicht, ohne die Akten selbst schon genauer gelesen zu haben. Dies eröffnet eine riesige Chance: Die Strafverteidigung hat das Aufschlagrecht!

Ablauf des Ermittlungsverfahrens

Auf Grundlage des konkreten Akteninhalts und der individuellen Beweislage erarbeiten wir gemeinsam eine erfolgversprechende Verteidigungsstrategie, dessen Ziel eine Einstellung des Verfahrens noch im Ermittlungsverfahren ist, also vor Anklageerhebung.

Hierfür erarbeiten wir eine ausführliche Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft, die sich in rechtlicher sowie in tatsächlicher Hinsicht akribisch und präzise mit dem Tatvorwurf und dem Beweiswert der vorhandenen Beweismittel auseinandersetzt. Jedes Beweismittel ist im Strafrecht einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich. Diesen Interpretationsspielraum kann sich die Verteidigung in ihrer Stellungnahme geschickt zunutze machen. Somit können wir die Beweislage aus unserer Sicht würdigen und die für uns elementaren Punkte überzeugend herausarbeiten – und im besten Fall den Aufschlag verwandeln.

Denn auf Basis dieser Stellungnahme, manchmal auch als Verteidigungsschrift bezeichnet, entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob sie das Ermittlungsverfahren mangels Tatverdacht einstellt oder Anklage erhebt.

Leider nehmen nicht alle Rechtsanwälte diese einmalige Chance wahr, unmittelbar auf die Überzeugungsbildung der zuständigen Staatsanwältin (oder des Staatsanwalts) einwirken zu können, sondern lassen das Ermittlungsverfahren untätig verstreichen. Dabei sind hier die Chancen am größten, den Verlauf des Strafverfahrens strategisch zu beeinflussen.

Einstellung im Ermittlungsverfahren: Statistik der Staatsanwaltschaft Hamburg (2023)

Einstellung im Ermittlungsverfahren: Statistik der Staatsanwaltschaft Hamburg 2023 (Quelle: Statistisches Bundesamt)

Rein statistisch betrachtet ist die Einstellung im Ermittlungsverfahren eher die Regel denn die Ausnahme. Hervorragende Chancen eigentlich, kein Teil der 5% Anklagen zu werden.

Vom Anfangsverdacht zum hinreichenden Tatverdacht

Während ein Anfangsverdacht für die Einleitung von Ermittlungen ausreicht, muss sich der Verdachtsgrad im Laufe der Ermittlungen mindestens zu einem hinreichenden Tatverdacht verdichtet haben, erst dann darf die Staatsanwaltschaft Anklage erheben. Andernfalls, ist der Tatverdacht nicht hinreichend, muss sie das Ermittlungsverfahren einstellen.

Der Rechtsbegriff des hinreichenden Tatverdachts ist allerdings so unbestimmt, dass bei dessen Bewertung ein erheblicher Ermessensspielraum aufseiten der Staatsanwaltschaft besteht: Bei vorläufiger Tatbewertung (durch die Staatsanwaltschaft) müsse eine spätere Verurteilung „mit Wahrscheinlichkeit“2 zu erwarten sein. Diese der Staatsanwaltschaft aufgetragene Verurteilungsprognose mit einer vorweggenommenen Beweiswürdigung führt zu einer Festlegung auf die Anklagehypothese und verstellt manchmal die Objektivität.

Hinzuweisen ist schließlich auf die Gefahr der Anordnung von Untersuchungshaft im Falle eines dringenden Tatverdachts und einem Haftgrund: u.a. Flucht bzw. Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr oder Wiederholungsgefahr.

Abschluss des Ermittlungsverfahrens

Das Ermittlungsverfahren endet durch Anklage oder Einstellung des Verfahrens.

Bieten die Ermittlungen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht. Das Strafverfahren kommt dadurch in das Zwischenverfahren.

Die Staatsanwaltschaft kann in bestimmten Fällen (anstatt anzuklagen) einen Strafbefehl beantragen, was – vereinfacht gesagt – einem Urteil in einem schriftlichen Verfahren, also ohne Hauptverhandlung entspricht. Das kann eine gute Lösung sein, muss es aber nicht.

Einstellung mangels Tatverdacht

Kommt die Staatsanwaltschaft mit uns überein und kann aufgrund der Beweis- und/oder Rechtslage keinen hinreichenden Tatverdacht begründen, stellt sie das Verfahren mangels Tatverdacht nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Durch diese Einstellung ist das Strafverfahren beendet und generell der Beschuldigte vollständig rehabilitiert: Es wird praktisch festgestellt, dass er als Täter nicht in Betracht kommt. Allerdings kann das Ermittlungsverfahren jederzeit wieder aufgenommen werden, wenn neue Erkenntnisse dies begründen.

Einstellung wegen Geringfügigkeit (ohne Auflagen)

Ist der Tatverdacht nicht gänzlich ausgeräumt, ist eine Einstellung nach § 153 StPO – ohne Auflagen – wegen geringer Schuld („Geringfügigkeit“) möglich. Diese kommt bei Vergehen in Betracht, sofern das Maß der Schuld gering ist (unter dem Durchschnitt vergleichbarer Taten) und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, etwa weil der Beschuldigte bislang nicht vorbestraft und die Tatfolgen gering sind.

Die Einstellung nach §§ 153 ff. StPO erfolgt aus Opportunitätsgründen und auch nur dann, wenn das Gericht dieser Einstellung zustimmt. Bei der Einstellung nach § 153 StPO findet keine Schuldfeststellung statt, die Schuldfrage bleibt vielmehr offen – demzufolge gilt der Beschuldigte weiterhin als unschuldig und selbstverständlich nicht vorbestraft. Es erfolgt auch keine Eintragung ins Führungszeugnis.

Anders als bei der Einstellung mangels Tatverdacht kann das Verfahren hier nicht jederzeit wieder aufgenommen werden, sondern nur dann, wenn sich die eingestellte Tat aufgrund neuer Erkenntnisse plötzlich als Verbrechen darstellt.

Einstellung gegen Auflagen

Steht die Schwere der Schuld dem nicht entgegen, kann eine Einstellung gegen Auflagen oder Weisungen gemäß § 153a StPO erreicht werden, sofern ein hinreichender Tatverdacht besteht. Die Schwere der Schuld steht bei Verbrechen stets entgegen, eine Einstellung ist folglich nicht möglich.

Das öffentliche Interesse an der (weiteren) Strafverfolgung kann hier durch Auflagen oder Weisungen beseitigt werden, meist durch Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung (oder an die Staatskasse als größte gemeinnützige Einrichtung). In Betracht kommt aber auch eine Schadenswiedergutmachung.

Das Strafverfahren wird bei der Einstellung nach § 153a StPO aus Vereinfachungsgründen praktisch „abgeschnitten“ und nach Erfüllung der Auflage/Weisung endgültig eingestellt.

Mirko Laudon LL.M., in: Burhoff (Hrsg.): Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und die strafrechtliche Hauptverhandlung (2025)

Kompetenz im Strafverfahren

Rechtsanwalt Mirko Laudon LL.M. ist Autor in diesem Standardwerk für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu dem Thema Beweiswürdigung u.a.

Durch die Erfüllung und endgültige Einstellung tritt Strafklageverbrauch ein, folglich kann das Verfahren nicht wieder aufgenommen werden. Durch die vorzeitige Beendigung ohne Urteil findet keine Schuldfeststellung statt, vielmehr gilt die Unschuldsvermutung fort.3 Der Beschuldigte gilt auch hier als nicht vorbestraft (keine Eintragung im Führungszeugnis).

Anklage

Erhebt die Staatsanwaltschaft schließlich Anklage geht das Strafverfahren dadurch in das Zwischenverfahren über. Dann entscheidet das Gericht über die Zulassung der Anklage.

Aus verschiedenen Gründen wird es nun schwierig, eine Hauptverhandlung zu vermeiden. Einstellungen sind in diesem Stadium selten, kommen aber dennoch vor. Durch Fixierung der Verurteilungsprognose nimmt die Staatsanwaltschaft mitunter eine Verteidigungsrolle der Anklagehypothese ein, auch gegenüber dem Gericht, was ihrer Rollenzuschreibung als „objektivster Behörde der Welt“4 abträglich ist.

Zwischenverfahren

»Am Ende wird alles gut.
Wenn es nicht gut wird,
ist es noch nicht das Ende.«

Strafverfahren: Zwischenverfahren mit Eröffnungsbeschluss oder Nichteröffnungsbeschluss

Abschließend ist hinzuweisen auf mögliche Nebenfolgen der Einleitung des Ermittlungsverfahrens bzw. der Anklageerhebung, die in der Beratung leider häufig vergessen werden. Es ist unmöglich, die Regelungen im Einzelnen hier darzustellen, konsultieren Sie dafür den Gesetzestext oder einen Rechtsanwalt.

Über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, welches ggf. mit einer Kindeswohlgefährdung einhergeht, z.B. bei Sexualstraftaten (etwa Besitz kinderpornografischer Inhalte) wird das Jugendamt informiert (Nr. 35 MiStra).
Über den Abschluss des Ermittlungsverfahrens ist der Dienstherr zu informieren bei Personen in einem Beamten- und Richterverhältnis (Nr. 15 MiStra), und zwar auch, wenn dieses eingestellt worden ist.
Über die Anklage ist der Dienstherr zu informieren bei Angestellten im öffentlichen Dienst (Nr. 16 MiStra), Soldaten (Nr. 19 f. MiStra), Zivildienstleistende (Nr. 21 MiStra) und alle Kammerberufe (Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater, … Nr. 23 ff. MiStra).

  1. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet und jeweils die statistisch häufigste Form verwendet, also „der“ Beschuldigte, denn in mehr als 80% ist der Beschuldigte männlich. ↩︎
  2. BGH, Besch. v. 22.04.2003 – StB 3/03, v. 29.11.2018 – StB 34/18 u.v. 10.07.2024 – StB 29/24; StB 30/24 ↩︎
  3. Die Ansicht ist trotz eindeutiger Rechtsprechung des BVerfG teilweise – gerade bei Staatsanwälten – umstritten, vgl. meine Ausführungen dazu hier. ↩︎
  4. Diese Rollenzuschreibung geht auf den Generalstaatsanwalt am Kammergericht Hugo Isenbiel zurück, der sich im Zuge eines Verfahrens gegen einen Bankier wegen Sexualdelikten im Herbst 1910 zu diesem berühmten Ausspruch hinreißen ließ. Hier mag Stolz auf den eigenen Beruf zu einer Übertreibung geführt haben (Dreher, in FS-Kleinknecht). ↩︎
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