Sexuelles Fehlverhalten am Arbeitsplatz

Sexuelles Fehlverhalten, insbesondere sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist inzwischen längst in der Unternehmensrealität angekommen: Nach #MeToo haben viele Unternehmen verbindliche Compliance-Regeln implementiert, die definieren, was sexuelles Fehlverhalten meint und welche spezifischen Sanktionen an Verstöße anknüpfen.

Aber wird die Aufklärung möglichen Fehlverhaltens genauso ernst genommen? Unstreitig muss ein Unternehmen tätig werden, auch wenn Aussage gegen Aussage steht.

Sexuelle Belästigung und dessen Aufklärungspflicht

Meldet ein:e Mitarbeiter:in einen Verstoß ist das Unternehmen in der Pflicht, diesen Vorfall zu untersuchen und aufzuklären. Dies geschieht in aller Regel durch unternehmensinterne Ermittlungen. Die interne Untersuchung eines solchen Vorwurfs sollte das Unternehmen nie auf die leichte Schulter nehmen, sondern sich anwaltlich begleiten lassen.

Was versteht man unter sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?

„Eine sexuelle Belästigung ist (…), wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“ (Legaldefinition in § 3 Abs. 4 AGG)

Auch definiert das Gesetz in § 12 Abs. 3 AGG bereits die möglichen Reaktionen des Unternehmens auf festgestellte Verstöße: Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung. Das Unternehmen hat insoweit ein Ermessen, wie es reagieren will, wobei die Maßnahme nachvollziehbar begründet sein muss, denn die Norm statuiert einen Anspruch der durch den Verstoß benachteiligten Person auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung.

Aber wann gilt ein Verstoß als hinreichend sicher, um darauf arbeitsrechtlich zu reagieren?

Sexuelles Fehlverhalten ist eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, auch wenn Aussage gegen Aussage steht.

Aussage gegen Aussage

Bundesweit sind nur sehr wenige Rechtsanwälte in der Aufklärung von Aussage gegen Aussage-Delikten tätig. Meine Kanzlei ist seit Jahren auf Aussagepsychologie spezialisiert und verfügt in der Befragung von Zeugen dank der Erfahrung aus weit mehr als 100 Verfahren über eine wohl einzigartige Expertise auf diesem Gebiet.

Interne Ermittlungen bei Aussage gegen Aussage

Oftmals steht bei dem Vorwurf eines sexuellen Fehlverhaltens Aussage gegen Aussage. Es waren fast ausnahmslos nur die zwei Personen anwesend, die regelmäßig unterschiedliche Angaben zu diesem Vorfall machen. Dennoch darf die Untersuchung des Vorfalls dann nicht abgebrochen und der Vorgang „zu den Akten gelegt“ werden.

Selbstverständlich dürfte auch sein, dass das mögliche Opfer und der mögliche Täter nicht zusammen, sozusagen am runden Tisch befragt und mit dem Vorwurf konfrontiert werden. Dadurch würde die Benachteiligung – vor der das AGG gerade schützen soll – sogar noch vertieft. Schon während der Untersuchung ist das Unternehmen verpflichtet, den potentiell Benachteiligten zu schützen.

Richtig ist eine Befragung der Mitarbeiter:innen jeweils einzeln nach den Grundsätzen der Aussagepsychologie. Seit der Grundsatzentscheidung durch den Bundesgerichtshof im Jahr 1999 gilt diese Methodik als wissenschaftlich fundiert für die Einschätzung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen. Dadurch gilt diese als Standard auch für Strafgerichte.

Anforderungen an die Dokumentation der internen Ermittlungen

Nicht nur die Befragung der Mitarbeiter:innen erfordert besondere Sachkunde, sondern auch die lückenlose Dokumentation der Aufklärung. Sämtliche Befragungen sollten zum Zwecke der späteren Überprüfbarkeit im Wortlaut dokumentiert werden. Der Abschlussbericht sollte zudem den Gang der internen Ermittlungen chronologisch mitteilen und sowohl die Einschätzung der Glaubhaftigkeit der Aussagen als auch die arbeitsrechtliche Reaktion des Unternehmens auf das mögliche Fehlverhalten ausführlich begründen.

Der Untersuchungsbericht bildet die Basis für die mögliche spätere Auseinandersetzung vor dem Arbeitsgericht oder für die weiteren Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden, sofern ein:e Beteiligte:r Strafanzeige erstattet.

Rechtsanwalt Mirko Laudon LL.M. (Wirtschaftsstrafrecht) ist Fachanwalt für Strafrecht und seit Jahren spezialisiert auf Aussage gegen Aussage Konstellationen. Er hat mehr als 100 Mandate bearbeitet, in denen Aussage gegen Aussage stand und hält zu diesem Thema bundesweit Fortbildungen. Außerdem war er führend verantwortlich für die Untersuchung und Aufklärung in einer internationalen Großbank, dessen leitendem Angestellten sexuelles Fehlverhalten zur Last gelegt worden war.

Reaktion auf sexuelles Fehlverhalten

Wie bereits gezeigt, fordert das Gesetz eine Reaktion des Unternehmens auf festgestellte Verstöße: Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung. Aber Vorsicht: die außerordentliche (fristlose) Kündigung als Höchststrafe ist keineswegs immer das angemessene Mittel, auf ein sexuelles Fehlverhalten zu reagieren.

Beispiel: ungerechtfertigte außerordentliche Kündigung durch Nachtatverhalten

Das Bundesarbeitsgericht hatte im Jahr 2014 über einen Fall sexuellen Fehlverhaltens zu entscheiden. Ein Mitarbeiter hatte einer externen Mitarbeiterin gesagt, sie habe einen „schönen Busen“. Es bleibt allerdings nicht bei dieser verbalen Belästigung, denn der Mitarbeiter berührte die Brust auch oberhalb der Kleidung. Sowohl das verbale als auch das tätliche Fehlverhalten wertete das Bundesarbeitsgericht als sexuelle Belästigungen. Aber, da sich der Mitarbeiter entschuldigte und der Mitarbeiterin sogar ein Schmerzensgeld zahlte, sah das Bundesarbeitsgericht eine Abmahnung als „ausreichende“ Sanktion an. (BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13)

Das Unternehmen entscheidet in eigener Verantwortung, also nach freiem Ermessen, wie es angemessen auf einen festgestellten Verstoß reagiert. Die Reaktion muss allerdings geeignet sein, künftige Verstöße nachhaltig zu unterbinden.

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